zu Faust II +++ zu Faust II +++ zu Faust II ++ zu Faust II +++ zu Faust II +++zu Faust II +++

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.

Zu Faust II

 

Vom Eingangsmonolog in Faust I bis zur letzten Szene in Faust II spannt sich ein breiter Lebensbogen. Der Faust der Anfangsszene, der seiner Enttäuschung über die Wissenschaft Ausdruck gibt, ist am Ende des 2. Teils - so lange hat die Verjüngungsprozedur in der Hexenküche denn doch nicht gehalten  - 100 Jahre alt und blind. Er ist nicht weniger unbefriedigt und frustriert als am Anfang! Und das, obwohl er mehr erlebt hat als je ein Mensch zuvor. Er ist zu höfischen Ehren gelangt, er hat mit der schönsten Frau der Welt ein Kind gezeugt, er ist zum Großunternehmer geworden, hat sich die Natur unterworfen. - Wiederum hat er Schuld auf sich geladen. Mephisto - sein Alter ego - hat seinen Teil dazu beigetragen.

Auch der im 1. Teil geschlossene Pakt zwischen Mephistopheles und Faust kann als Bindeglied zwischen beiden Teilen gesehen werden. Mephistopheles hatte Faust versprochen, ihn "durch die kleine und große Welt" zu führen und Faust hatte ihm als Entgelt für diese Welterfahrung unter zwei Bedingungen seine Seele versprochen.

Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen/So sei es gleich um mich getan! Werd' ich zum Augenblicke sagen:/Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen,/Dann will ich gern zugrunde gehn!

Vorgeplant ist Fausts gesamter Lebenslauf ja schon im Prolog. Denn der Pakt zwischen Faust und dem Teufel ist ja nur die irdische Fassung der Vereinbarung zwischen Mephisto und dem Herrn. Der Prolog. stellt Faust als einen Menschen vor, der überhohe Ansprüche an das Leben stellt und von höchster Stelle den Teufel als Begleiter erhält.

Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,/Er liebt sich bald die unbedingte Ruh’; Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,,/Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.

Nach dem furchtbaren Erlebnis der Gretchen-Tragödie zeigt der Anfang des 2. Teils Faust ermattet, unruhig und voller Selbstvorwürfe - noch ohne Mephisto als Begleiter. Schauplatz ist die "anmutige Gegend". Krasser könnte der Gegensatz zur dumpfigen Studierstube der Eingangsszene des 1. Teils nicht sein. Durch den Zaubergesang der Naturgeister wird Faust in einen Heilschlaf versenkt. Neben der Heilkraft der Natur erfährt Faust auch ihre Zerstörungskraft, beim Anblick der Sonne.

  Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Geheilt und gestärkt zeigt Faust neuen Lebensmut und Drang zu neuen Taten. Es folgt ein unvermuteter Szenenwechsel von der Natur zur Gesellschaft. Faust betritt die Sphäre des gesellschaftlichen Zere-moniells am kaiserlichen Hof. In dieser Welt des politisch-sozialen Handelns hat sich Mephisto schon als neuer Hofnarr eingenistet. An dem allegorischen Maskenzug nimmt Faust als Pluto - Gott des Reichtums - teil. Das plutonische Gold, der Reichtum, dem die Poesie zugesellt ist, steht im Gegensatz zu dem von Mephisto eingeführten Papiergeld, das die Finanzmisere des Kaisers zeitweilig behebt.

Der Kaiser verlangt Zauberkünste, will nun Helena und Paris als Sinnbilder antiker Schönheit sehen. Eine schwierige Aufgabe für Mephisto. Faust muss dazu in die Tiefe und Einsamkeit der Urbilder des Seins hinabsteigen. Er kann Helena aber noch nicht für sich gewinnen. Die Erscheinung löst sich auf, verschwindet als Schatten. Mephisto bringt ihn wieder in seine alte Studierstube. Ihn reizt es, noch einmal den Professor zu spielen. Wieder erscheint der Schüler. Aber er braucht nun keinen Lehrer mehr. Er vertritt vielmehr die ganz moderne Ansicht, die alten Professoren sollte man am besten zeitig totschlagen! Auch Wagner erscheint wieder. Der Famulus ist inzwischen zu hohen akademischen Ehren gelangt. Im Laboratorium produziert er dann den ersten künstlichen Menschen, Homunkulus; er wird zum Wegweiser in die klassische Walpurgisnacht. Aber Homunkulus scheitert an der realen Welt, seine gläserne Hülle zerschellt.
Kernszene und Höhepunkt in der Mitte des Dramas ist endlich die Begegnung Fausts mit Helena. Hier erweist sich wieder Mephistos Zaubermantel als hilfreich, denn mit ihm können die Grenzen von Zeit und Raum aufgehoben werden. Faust wird in Helenas Welt gebracht. Schauplatz ist Arkadien, die Landschaft antiker Schönheit. Helena repräsentiert die Welt des antiken Griechenland, Faust die des nordischen Mittelalters. Produkt der Vereinigung der nordischen Gefühlswelt mit dem Formsinn der griechischen Klassik ist Euphorion, der Sohn des Faust und der Helena und Genius der Poesie. Doch Euphorion ist - wie Homunkulus - die Gnade des Weiterlebens nicht vergönnt. Er stürzt wie dieser zu Tode. Helena folgt ihm in den Hades. Faust bleibt nur ihr Gewand, Schleier der Dichtung und Symbol der Poesie.

Faust, der nun in vielfacher Weise in die Grenzen seines Menschseins verwiesen wurde, sucht als weiteres Betätigungsfeld das aktive Leben. Er stürzt sich im Dienste des Kaisers in die Kriegswirren und beweist sich als Feldherr.

Sein nächstes Unterfangen, dem Meer fruchtbares Land abzugewinnen, ist fast erfolgreich, doch er wird überheblich und machtgierig. Das führt zur Katastrophe, denn Mephisto verursacht den Tod eines Wanderers und des friedlichen alten Paares Philemon und Baucis. Er lässt durch "die Drei" die Hütte abbrennen, die Fausts Tatendrang im Wege steht.

Wieder wird, wie bei der Gretchen-Tragödie die Zwiespältigkeit der faustischen Natur sichtbar. Aber hier kündigt sich auch schon das Ende seiner Bindung an Mephisto an:

Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,/Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,/ Stünd Ich, Natur! vor dir ein Mann allein,/Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.

Der hundertjährige Faust wird von der Sorge mit Blindheit geschlagen.

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,/Nun Fauste, werde du's am Ende!

Er treibt trotzdem sein Werk voran. Während aber schon die Lemuren unter Mephistos Anleitung sein Grab schaufeln, glaubt Faust noch, das Spatengeklirre bedeute die Vollendung seiner großen Unternehmung. Nun endlich meint er, den Augenblick höchsten Glücks zu genießen. Er stirbt mit den Worten auf seinen Lippen:

Es kann die Spur von meinen Erdetagen/Nicht in Äonen untergehn.-

Mephisto wacht argwöhnisch über Fausts Leiche, um der den Körper verlassenden Seele habhaft zu werden. Doch - eine himmlische Heerschar schwebt hernieder und entführt Fausts "Unsterbliches". So findet sich am Schluss des Stücks unzweifelhaft das christliche Motiv der Gnade. Von solchen Höhen aus betrachtet, ist das Leiden und Kämpfen dieser Welt nur eine Abfolge von Bildern, d.h. bloße Erscheinung. Dem Streben nach immer höherer und reinerer Tätigkeit kommt "von oben" die Liebe helfend entgegen.

(aus dem Programm)

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Johann Wolfgang von Goethe - Faust I und II
Kommentar zur STIP-Aufführung

Faust, "Das Weltgedicht ", dessen zweiter Teil von Goethe selbst erst posthum zu entsiegeln bestimmt wurde, bewegte und bewegt von seiner ersten Vorstellung an die Menschen, und ist bis heute noch nicht völlig verstanden.

Desungeachtet oder vielleicht gerade deshalb, wird seit über 50 Jahren zunehmend in vielen Inszenierungen und Besprechungen versucht, das "Faustische" aus dem Faust zu verbannen, den Faust sozusagen zu "entmystifizieren". Doch hat Goethe seinen Faust - und wohl seine Dichtung überhaupt - mit dem "Chorus mysticus" beschlossen. Dies allein schon weist klar auf die ursprüngliche Grundbotschaft dieser Dichtung zurück, eben auf das Dasein des Menschen als Wanderer zwischen den Welten:

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
(Faust II)

In der Spannung zwischen der Bejahung, der sinnlichen Diesseitswelt und dem Streben nach dem Unendlich-Göttlichen, sucht Faust beide Sehnsüchte zugleich zu erfüllen. Genau diese Entwicklung ist es, die der Chorus mysticus am Ende zusammenführt:

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
(Faust II)

In der Grundpolarität des menschlichen Daseins, in der Beziehung zwischen Männlichem und Weiblichen, und in der Suche nach einer Liebe so tief, dass sie Sinnlichkeit und Ewigkeit vereint, entfaltet sich das "Faustische Streben" - und geschieht sein Scheitern! Auch dieses ist ein Element seines Menschseins.

Ist im ersten Teil noch die Emporhebung des Diesseits in die Götterwelt versucht, steigen die Götter im zweiten Teil auf die Erde hinab. Oder, wie Rudolf Steiner sagt, wird es schließlich gleichgültig, ob man es ein Hinab- oder Hinaufsteigen nennt.

Goethes Faust ist kein normales Sprechtheater und auch keine Aneinanderreihung effektvoller Szenen. Sein tiefer Gehalt und sein inneres "mystisches Band" erschließen sich nur dem Erlebenden selbst. Denn, wie Goethe Mephisto in seiner Kritik unserer mechanistischen Weltsicht sagen lässt:

Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in der Hand -
Fehlt leider! Nur das geistige Band.
(Faust I)

Die STIP-Inszenierung von Frau Mußler will dem Geist des Goetheschen Originals nahe kommen. Und gerade darin erweist sich die Kraft und zeitlose Modernität des Faust:

Ob es sich um die Liebe dreht, um Eifersucht oder Hass, um Leben oder Tod, um Geld-Macht-Lust, um das Streben nach Weisheit oder die Fragwürdigkeit der Wissenschaft, um den Materialismus oder die Religion, um die Moral oder die Freiheit - alles erscheint wie gerade erst gestern für uns Heutige geschrieben.

Jeder wird sich und seine zwei (oder mehr) Seelen wieder erkennen oder etwas sogar neu in sich fühlen. Das geistige Band erschließt sich im Schauspiel lebendiger, als beim bloßen Lesen des Textes. Und dort, wo vielleicht ein dunkles oder "angestaubtes" Wort etwas mehr Nachdenken verlangt, kann dieses Innehalten um so tiefer in die eigene Seele führen.

(Werner J. Meinhold)